ABSTRACT

Schon der Titel dieses Kapitels besagt, daß in der Beziehung des Judentums zum Christentum ein religiös-schöpferisches Element fehlt. Zwar bestanden selbst in Zeiten systematischer Judenverfolgung freundschaftliche Beziehungen zwischen einzelnen gelehrten Juden und führenden christlichen Geistlichen und Gelehrten, welche für beide Teile fruchtbar und geistig anregend waren und zweifellos zu besserem gegenseitigem Verständnis der heiligen Schriften der beiden Religionen führten. Aber das Judentum als solches verfügt über keine eigenständige, spontane Stellungnahme zum Christentum, das aus ihm hervorgegangen ist und mit dem es das gemeinsame Erbgut des Alten Testamentes verbindet. Jede Erörterung des Verhältnisses zwischen der Synagoge und der Kirche muß aber von der wichtigen Tatsache ausgehen, daß das Alte Testament die unentbehrliche Grundlage bildet für gegenseitige Freundschaft wie auch Feindschaft. So steht von Anfang an das jüdisch-christliche Mit- und Gegeneinander in einem Zwielicht, in einer Art feindlicher Brüderschaft, gekennzeichnet durch das Grundgebot der Nächstenliebe, das beiden Religionen eigen ist, aber auch durch Haß und Feindschaft der siegreichen, mächtigen Kirche gegen die unterlegene, der Bekehrung sich widersetzende Synagoge. Vom Standpunkt der Kirche aus war die Bekehrung der Juden natürlich verständlich, ja sogar nötig. Aber die Juden haben mit steigender Bitternis auf den Bekehrungseifer reagiert, der mit der Ausbreitung des Dominikaner- und Franziskaner-Ordens immer stärker – und gefährlicher – wurde. Die wesentliche Rolle, die bei den Bekehrungsversuchen – von der päpstlichen Kurie und der hohen Geistlichkeit gutgeheißen und gefördert – getaufte Juden in Wort und Schrift spielten, hat die jüdische Haltung stark beeinflußt und die jüdische Antwort polemischer und auch ausfälliger gemacht.