ABSTRACT

Die von Vivaldi häufig geübte Praxis, das motivische Grundmaterial eines Satzes für eine neu entstehende Komposition wiederzuverwenden, ist ein der Vivaldi-Forschung seit langem vertrautes Vorgehen. Einschlägige Veröffentlichungen 1 haben auch hinreichend deutlich gemacht, welch eine breite Skala von Möglichkeiten diese Praxis einschließt: Die Entlehnungen reichen von der bloßen Übernahme eines thematischen Einfalls bis zur Wiederverwendung komplexer Satzabschnitte, von notengetreuer bis zu erheblich veränderter Wiederkehr des Motivmaterials, und sie finden sich ebenso in Sätzen innerhalb der gleichen Gattung wie in solchen unterschiedlicher Werkbereiche. Die zahlreichen Fälle, in denen ein Satz unter Beibehaltung seiner formalen Gesamtanlage nach einer bestimmten Richtung hin umgearbeitet — etwa für eine andere Besetzungsform eingerichtet — wurde, bleiben dabei noch außer Betracht, da es sich hier um unterschiedliche Fassungen ein und derselben Komposition, nicht um verschiedene Kompositionen auf gemeinsamer motivischer Basis handelt. Freilich kann die Entscheidung darüber, wo die Grenze zwischen der Umarbeitung eines Satzes und einer Neukomposition liegt, in Einzelfällen durchaus strittig sein.