ABSTRACT

Die chinesische Kunst war in vielen Etappen ihrer Geschichte nicht nur Ausdruck eines bestimmten Gestaltungsauftrages oder eines individuellen Gestaltungswillens, sondern auch der Begegnung vielfältiger kultureller Strömungen, die sich mehr oder weniger erkennbar mischten und mehr oder weniger nachhaltigen Einfluss nahmen. Eine in dieser Hinsicht besonders fruchtbare Periode begann mit der Gründung des Ming-Reiches, nachdem im Weltreich der Mongolen neue Verbindungen zum Vorderen Orient bis hin zum Abendland geknüpft wurden, neue Errungenschaften verschiedenster Art und Menschen, die sie beherrschten, ihren Weg ins Reich der Mitte gefunden hatten. Dazu gehörte auch ein genialischer Künstler newarischer Herkunft, Anige (1243-1306), der einem Ruf an den Hof des zum tibetischen Buddhismus bekehrten Kubilai Khan folgte, um dort die religiösen Bildwerke des neuen Glaubens zu schaffen. Er blieb bis zu seinem Lebensende dort und begründete eine künstlerische Schule, die in den religiösen Gemälden und Skulpturen seiner chinesischen Nachfolger weit über seinen Tod hinaus Nachhall fand. Einflüsse der anmutigen und sinnlich geprägten künstlerische Sprache Nepals entfalteten sich in der buddhistischen Kunst Chinas augenfällig, seitdem der Yongle-Herrscher die Ming-Hauptstadt 1421 von Nanjing nach Beijing hatte verlegen lassen und nach der inneren Konsolidierung des Reiches auch die Sicherung nach außen auf die politische Agenda nahm. Hierbei erkannte man in Tibet einen wichtigen potenziellen Partner und entwickelte eine rege Gesandtschaftsdiplomatie, die zwecks Austausch von adäquaten Geschenken auch die Produktion der höfischen Werkstätten anregte.