ABSTRACT

Wenn Cusanus im vorgerückten Alter von 61 Jahren auf seinen Denkweg zurückblickt, bestimmt er den Ausgangspunkt und das Grundmotiv seines Denkens als die Suche nach Gott (de quaerendo deum), womit wohl nicht nur die so betitelte Schrift von 1445 gemeint ist, und charakterisiert die Arbeiten der späteren Jahre als Konjekturen oder Denkversuche zu diesem Thema; ‘Conscripsi dudum conceptum de quaerendo deum: profeci post hoc et iterum signavi coniecturas’. 1 Als Konjekturen entfalten sich diese Entwürfe nicht in einlinigem Fortschritt, sondern eher, wie Cusanus es durch das Beispiel des von ihm konzipierten Kugelspiels andeutet, 2 durch die Vermischung von Einsicht und ihrer Entstellung, von Wahrheit und Andersheit des menschlichen Geistes in spiralförmiger Annäherung an das Ziel, die Mitte und den Grund der Wirklichkeit. Dabei hält sich jedoch nicht nur die Zielrichtung des Gedankens, nämlich die Erkenntnis des Ersten und Einen, das Gott genannt wird, im stets neuen Wurf des Denkens durch, sondern das Denken reichert sich in seiner Entfaltung durch die – stets wieder partiell bleibende – Integration früherer Entwürfe an, so daß diese verschiedenen ‘Jagdzüge’ nach Wahrheit als ein fortlaufender Denkweg zwar nicht zu einem System, doch zu einem offenen Ganzen zusammengefaßt werden können, wie Cusanus es im Spätwerk De venatione sapientiae (Anfang 1463) unternimmt; ‘Propositum est meas sapientiae venationes, quas usque ad hanc senectam mentis intuitu veriores putavi, summarie notatas posteris relinquere’. 3 In ähnlicher Weise äußert sich Cusanus im Compendium (Anfang 1464) über Identität und Differenz seiner bisherigen Untersuchungen; ‘reperies primum principium undique idem varie nobis apparuisse et nos ostensionem eius variam varie depinxisse’. 4 So mag der Versuch erlaubt und sinnvoll sein, die Struktur der von Cusanus entwickelten Theorie der Gotteserkenntnis in einem gerafften Durchblick durch ihre tragenden Motive zu erhellen. Wenn dabei Negation und Schau von vornherein als Brennpunkte der Untersuchung genannt werden, so will dies nicht im Sinn ausschließender Beschränkung der Thematik, sondern als vorläufige Markierung der Wendepunkte im Aufstieg der Denkbewegung zum Ersten verstanden sein.