ABSTRACT

In seiner Schrift De querela pacis aus dem Jahr 1518 bedauert Erasmus, daß es zu jener Zeit sogar in der Philosophie und der Religion unmöglich geworden sei, noch einen Raum zu finden, in dem Frieden gewährleistet sei. 1 Erasmus sieht sich durch die personifizierte Gestalt ‘Frieden’ mit dem Dilemma konfrontiert, daß ‘die Natur uns mit so vielen Argumenten auf die Notwendigkeit von Frieden und Eintracht weist, während die realen Verhältnisse, an welchen auch das (philosophische) Denken partizipiert, nirgendwo einen festen Anker bieten, an dem diese Notwendigkeit des Friedens sich umsetzen ließe. Waren Philosophie und Religion zuvor noch Ruhepunkte, an denen Frieden und Übereinstimmung gefunden werden konnten, so sind sie jetzt von unlösbaren Streitigkeiten und – wie es in der Religion der Fall ist – sogar blutigen und unaufhörlichen Konflikten gekennzeichnet. Es ist klar, daß der Humanist und Theologe Erasmus hier an die konfessionellen Bürgerkriege seiner Tage und die politische und geistige Verwirrung, die diese mit sich brachten, denkt. Daß er im gleichen Zug auch die Philosophie erwähnt, ist höchst bemerkenswert. Sogar in der Ruhe des Denkens ist ein Fundament, das die kämpfenden Parteien, zumindest im Prinzip, miteinander versöhnen könnte, unauffindbar geworden. 2 Das erasmianische Seufzen in bezug auf die Ohnmacht der Philosophie wird auf dem Hintergrund des ungehemmten religiösen Pluralismus seines Jahrhunderts verständlich – aber vor allem auch angesichts der aufkommenden Zweifel an den Möglichkeiten der Philosophie. Dabei handelt es sich um Zweifel, die durch die Wiederentdeckung der Schriften des Sextus Empiricus, die die ‘crise pyrrhonienne’ (wie Richard Popkin es trefflich genannt hat) auslöste, verstärkt werden. 3 Auch für Nicolaus Cusanus bedeutet die Problematik des Krieges und des Friedens – die scheinbare Unmöglichkeit eine definitive gesellschaftliche und religöse Versöhnung zustande zu bringen – eine Herausforderung, die Aufgabe der Philosophie neu zu formulieren. Dies gilt umso mehr, da auch die Philosophie selber von einem inneren Kampf um der Wahrheit willen gekennzeichnet wird. 4 Die Geschichte der Philosophie ist eine lange Reihe von verschiedenen, sich oft widersprechenden Gedanken und Auffassungen über die Wahrheit. Cusanus schließt daraus, daß die Wahrheit, wie sie an sich ist, für den Menschen unerreichbar sei. Die Unerreichbarkeit der Wahrheit gehört zu den entscheidenden Schlüsselgedanken des Nicolaus Cusanus. Diese Einsicht enspringt für Cusanus nicht nur aus der Geschichte der Philosophie, sondern sie findet ihren Ursprung auch in seinen Erfahrungen als Diplomat und Politiker, später auch als Bischof von Brixen. Ebenso war er sich als einer der ersten Rechtshistoriker der europäischen Geschichte der Unmöglicnkeit, einen dauerhaften, definitiven Maßstab der Gerechtigkeit und Richtigkeit zu finden, und der stetigen Veränderlichkeit der Auffassungen, zutiefst bewusst. Die schöne Passage in De coniecturis, in der Cusanus die stetige Veränderlichkeit der Religionsformen beschreibt, ist bekannt:

‘Bedenke auch, dass, wenngleich die Religion oder irgendeine Herrschaftsform in irgendeiner Nation dieser Welt für längere Zeit beständig zu sein scheint, dies dennoch nicht in Genauigkeit der Fall ist. Der Rhein scheint lange beständig zu fliessen, jedoch niemals im selben Zustand. Einmal ist er unruhiger, eiumal klarer, einmal führt er viel Wasser, einmal wenig. (…) Ebenso fliesst auch die Religion unbeständig zwischen Geistigkeit und Zeitlichkeit. Genauso schwankt die Herrschaft beständig zwischen grösserem und geringerem Gehorsam.’ 5