ABSTRACT

Ein Beitrag über die Geschichte der Juden im chinesischen Kaiserreich müßte eigentlich von jemandem geschrieben werden, der sowohl als Chinahistoriker wie auch als Judaist qualifiziert ist. Allenfalls das erstere kann ich jedoch für mich in Anspruch nehmen. Dabei ist die Geschichte der Juden in China und hier insbesondere der jüdischen Gemeinde in K’ai-feng, deren Geschichte sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, ein einzigartiges Beispiel für die jüdische Diaspora nach dem Ende des zweiten Tempels. Sie kann zeigen, wie sich die chinesische Kultur gegenüber den Einwanderern aus dem Westen und ihrer monotheistischen Religion verhielt und welche Auswirkungen dies auf die Eingliederung der jüdischen Gemeinden in ihre so ganz anders geartete Umgebung gehabt hat. Die Chinesen hatten sich ja im Lauf ihrer Geschichte mehrfach mit fremden Menschen und Religionen auseinandersetzen müssen. Dies geschah entweder dadurch, daß nördliche Eroberervölker wie die Türken, Khitan oder Mongolen China zum Teil oder ganz unter ihre Herrschaft brachten, oder, wie im Falle des aus Indien und Zentralasien kommenden Buddhismus, durch friedliche, den Handelswegen folgende Mission. Zu den vorderasiatischen Religionen, die im 7. bis 9. Jahrhundert n.Chr. in China Eingang fanden, gehören etwa das nestorianische Christentum, der persische Zoroastrismus, der Islam und eben auch das Judentum. Während aber der Buddhismus weite Kreise der Bevölkerung vom Kaiserhof bis in die Städte und Dörfer erfaßte und die Kultur Chinas prägte, verhielt es sich mit den vor-derasiatischen Religionen anders. Sie blieben nämlich auf die Niederlassungen der Fremden beschränkt, die sich in den Handels- und Hauptstädten bildeten, und wirkten so gut wie gar nicht auf die chinesische Gesellschaft ein, trieben also keine Mission. Sie blieben deshalb Inseln im Meer der chinesischen Volksmassen, zwar geduldet, aber auch überwacht durch die Behörden. Daß sich in der T’ang-Zeit unter den Händlern und Seefahrern aus dem Westen Asiens auch Juden befunden haben, wissen wir nicht aus direkten Zeugnissen, sondern nur indirekt aus Berichten islamischer Reisender und Kosmographen des 8. und 9. Jahrhunderts, die uns diejenigen Städte nennen, in denen esneben 24Muslimen eben auch Juden gab. Es kann also nicht verwundern, daß diese an Zahl sicherlich kleinen jüdischen Gemeinschaften, die den Weg nach Osten gefunden hatten, im vorderen Asien und damit in den Zentren jüdischer Frömmigkeit und Tradition bald vergessen wurden. Freilich nicht ganz, denn im 12. Jahrhundert gab es einen jüdischen Reisenden, Benjamin ben Jona aus dem spanischen Tudela, der zwischen 1160 und 1173 die Mittelmeerländer, Nordafrika, Vorderasien und Persien sowie Indien bereiste und uns wichtige Nachrichten über jüdische Gemeinden in den von ihm besuchten Orten hinterlassen hat. Sein auf Hebräisch verfaßtes Buch Massaoth šel Rabbi Benjamin wurde erstmals 1543 in Konstantinopel gedruckt und später in andere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Jiddische, die Sprache der aschkenasischen Juden Mittel- und Osteuropas. Aber nach China ist Benjamin aus Tudela nicht gekommen, doch berichtet er aus zweiter Hand und vom Hörensagen über jüdische Niederlassungen in bestimmten Städten Chinas. Was die christliche Welt bis zum 13. Jahrhundert vom Fernen Osten wußte, ging kaum über die von den Autoren der Spätantike gesammelten vagen Nachrichten über das Land Sina und der Serer, aus dem die Seide bis nach Rom über die Seidenstraßen Zentralasiens gehandelt wurde, hinaus.