ABSTRACT

Zu den Kanonessammlungen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gehört eine in sieben Büchern eingeteilte Kompilation, die zuerst durch einen vatikanischen Codex (Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 1346; Sigle: V) bekannt wurde. 1 Diese Sammlung darf nicht mit einer anderen ebenfalls in sieben Bücher aufgeteilten Collectio verwechselt werden, die ausschliesslich in der Handschrift Turin D.IV.33 iiberliefert ist und aus Poitiers oder Norditalien stammt. 2 Die Turiner Sammlung, die Anfang des 12. Jahrhunderts entstand, bietet eine Kombination von Burchard von Worms mit der 74-Titel-Sammlung und hatte wohl nur lokale Bedeutung. 3 Die Sieben-Biicher-Sammlung der vatikanischen Handschrift, für die ich die Sigle 7L verwende, muss hingegen zu den verbreiteteren Kanonessammlungen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gerechnet werden. Auf die vatikanische Handschrift wiesen als erste die Brüder Ballerini in einer kurzen Notiz ihres Werkes 'De antiquis collectionibus' 1757 hin. 4 Sie stellten bereits fest, dass die Sammlung mit einem Päpstekatalog verbunden ist, der mit Paschalis II. ohne Angabe eines Todesjahrs endet und folglich wohl kurz vor 1120 entstanden sein miisse; die jüngsten Texte dieser Sammlung sind zwei vor 1115 zu datierende Briefe Paschalis II. (JL 6426 und 6436). 5 Eine genauere Beschreibung der vatikanischen Handschrift gab 1836 August Theiner in seinen Disquisitiones 256 criticae. 6 Er wies darauf hin, dass die Sammlung innerhalb der Bücher noch eine detaillierte Untergliederung in einzelne mit Sachrubriken versehene Abschnitte bringt, die der Sammler als 'Capitula' bezeichnet, so dass es sich um ein systematisches, überaus detailliert gegliedertes Werk handelt, dessen Gliederungsschema Parallelen zur Collectio Polycarpus aufweist. Theiner edierte die zahlreichen Rubriken der Sammlung 7 und machte Ausfuhrungen zu den Quellen, aus denen der Autor geschopft habe. 8 1878 stellte Friedrich Thaner fest, dass 7L auch in einer Handschrift der Wiener Nationalbibliothek in einer erweiterten Fassung enthalten sei. 9 Eine umfangreichere Untersuchung wurde der Sammlung nur von Paul Fournier gewidmet, der im zweiten Band der Histoire des collections canoniques (1932) auf eine dritte Handschrift in der Bibliothek von Cortona hinwies (MS Cortona 43, Sigle: C), die Entstehung von 7L in der Region von Mittelitalien lokalisieren konnte, die Entstehungszeit zwischen 1112 und 1120 eingrenzte und Angaben über die Quellen der Sammlung machte. 10 Fournier hielt überdies eine genauere Untersuchung von 7L fur wünschenswert, da er in ihr eine interessante Quelle zum Investiturstreit sah 11 und einen Einfluss von 7L auf das gratianische Dekret vermutete: 'Nous avons lieu de croire qu'elle ne serait pas sans intérêt pour qui voulait éclaircir les origines du Décret de Gratien'. 12 Die drei Handschriften spiegeln verschiedene Entwicklungsstufen der Sammlung, da Vat. lat. 1346 Zusatze bringt, die in den Manuskripten von Cortona und Wien in den Haupttext eingearbeitet sind, wobei Wien gegenuber Cortona eine dritte Redaktionsstufe darstellt. 13 Hartmut Zapp ist es vor kurzem gelungen, eine vierte Redaktionsstufe der Sammlung in der Handschrift Helmstedt 308 der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel zu entdecken. 14 In dieser Handschrift wurde bisher eine selbständige Sammlung in acht Büchern gesehen, 15 während Robert Somerville und Hartmut 257Zapp nunmehr in einer minutiösen Studie zeigen konnten, dass das achte Buch der Sammlung von Wolfenbüttel nichts anderes als ein Supplement zu 7L ist. In ihm tauchen auch Texte aus Hugo von St. Viktor und dem gratianischen Dekret auf, 16 so dass die Redaktion von 7L im MS Wolfenbüttel (Sigle: Wo) wohl nach 1150 zu datieren ist. Die Handschrift scheint in Frankreich geschrieben zu sein, so dass sich daraus ergibt, dass 7L im 12. Jahrhundert über Mittelitalien hinaus Verbreitung fand. Eine genauere Untersuchung des Verhältnisses der vier Handschriften von 7L zueinander ist von Somerville und Zapp zu erwarten. In meinem Beitrag möchte ich ausschliesslich auf die seit Theiner mehrfach erörterte Frage der Quellen von 7L eingehen.