ABSTRACT

Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Mathematikgeschichte ihre erste Blüte erlebte - man kann sogar sagen, daß sie erst in dieser Zeit zu einer wissenschaftlichen Disziplin wurde -, gehörten die Schriften der römischen Agrimensoren zu denjenigen Texten, mit denen man sich gleich am Anfang intensiver beschäftigte. Die erste kritische Ausgabe von F. Blume/K. Lachmann/A. Rudorff war 1848/1852 erschienen (Bd. 1 im folgenden zitiert als: Lachmann) und lieferte erstmals für einen großen Teil der Schriften eine brauchbare Textgrundlage. 1864/66 gab Friedrich Hultsch, der sich in der Wissenschaftsgeschichte vor allem als Herausgeber der Schriften des Pappos und des Heron einen Namen erwarb, die Metrolo-gicorum Scriptorum Reliquiae heraus; 1872 erschien sein Artikel Gromatici in Ersch/Grubers Allgemeiner Encyklopädie der Wissenschaften und Künste 1 . Richtungsweisend wurde Moritz Cantors Monographie Die römischen Agrimensoren und ihre Stellung in der Geschichte der Feldmeßkunst, Leipzig 1875 (im folgenden zitiert als: Cantor, Agrimensoren); sie stellt den ersten Versuch dar, die Mathematik der Agrimensoren ausführlich zu behandeln und die Quellen ihres Wissens zu ermitteln, gibt ferner Hinweise auf die Benutzung ähnlicher Methoden in mathematischen Schriften des Mittelalters und bringt außerdem eine - wenn auch nur mäßig gute - Ausgabe des Textes von Epaphroditus und Vitruvius Rufus, der von Lachmann nicht ediert worden war/cantors Buch wurde sofort die maßgebliche Abhandlung über die Mathematik der Agrimensoren und ist es eigentlich bis heute geblieben, auch deshalb, weil er wesentliche Teile daraus in seine vierbändigen Vorlesungen über Geschichte der Mathematik übernahm, die lange Zeit hindurch fast so etwas wie die Bibel für die Mathematikgeschichte waren.