ABSTRACT

Die Chinamission der frühen Neuzeit gehört zu den interessantesten Kapiteln der Missionsgeschichte überhaupt, stellte sie doch eine in dieser Zeit völlig ungewöhnliche Herausforderung für die europäische Kultur und für das Christentum dar. Wollte man in China das Christentum verbreiten, so musste man dabei dem chinesischen Kulturimperativ Rechnung tragen. China wollte und brauchte nichts von anderen Kulturen und Nationen, ja es ließ sogar nur das gelten, was schon seit alter Zeit in der chinesischen Kultur vorhanden war. So war einer der sicher häufig von den Missionaren gehörten Vorwürfe, dass das Christentum ganz neu, fremd und nicht chinesisch sei, ein Vorwurf, den auch der Kangxi 康熙 -Kaiser (1654–1722, reg. 1661–1722) erhob. 1 Teilweise konnte dieser Vorwurf durch den Fund der fast tausendjährigen Stele von Xi’an über die Verbreitung einer frühen Form des Christentums in China entkräftet werden, teilweise suchten die Missionare, angefangen von Matteo Ricci SJ (1552–1610), nach Anknüpfungspunkten, um zu zeigen, dass die chinesischen klassischen Bücher eigentlich bei richtiger Interpretation eine Vorbereitung auf das Christentum waren. In seinem berühmten Werk Tianzhu shiyi 天主實義 (Der wahre Sinn des Herrn des Himmels) präsentierte Matteo Ricci Zitate aus den klassischen Büchern, die zeigen sollten, dass der eine, wahre Gott unter den Namen Tian 天 oder Shangdi 上帝 schon in alter Zeit in China bekannt war und dort schon erwähnt wurde. Dieser Urmonotheismus, so die These Riccis und seiner Nachfolger, geriet später durch die Ankunft abergläubischer Religionen wie des Buddhismus in Vergessenheit, wodurch die ursprüngliche Reinheit des chinesischen Gottesglaubens verdorben wurde. 2